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Tierärztliche Naturheilkunde – Eine standespolitische Betrachtung

Normalerweise gibt es auf meiner Seite keine Politik, das wird auch so bleiben, doch diese eine standespolitische Betrachtung hielt ich für notwendig, da es ein Tabuthema zu sein scheint, bei dem jede/r versucht, seinen/ihren eigenen Umgang damit zu finden, die Situation aber nicht benennt, während die Politik und die tierärztliche Standesvertretung schweigt.

Die naturheilkundlich arbeitenden Tierärzte in Deutschland stehen heute ohne echte Lobby da. Das hat viele Ursachen, die zum Teil in der Gesetzgebung liegen. Während in der Humanmedizin der Heilpraktikerstatus zumindest eine staatliche Prüfung voraussetzt, die schulmedizinisches Basiswissen abfragt, existiert im Bereich der Tierheilkunde überhaupt keine Regulierung. Jeder kann sich ohne jede Vorbildung „Tierheilpraktiker“ nennen. Die Verantwortung besteht nur darin, sich am Markt zu behaupten. Dadurch ist ein unüberschaubarer Ausbildungsmarkt privater Schulen entstanden, dessen Qualitätsniveau stark schwankt und der keinerlei staatliche Aufsicht kennt.

Damit entsteht eine paradoxe Situation. Einerseits wirken in diesem Bereich zahlreiche Tierärzte mit, die naturheilkundliche Verfahren anbieten und oft fundierte Weiterbildungen absolviert haben. Andererseits wird ausgerechnet von den großen Tierheilpraktikerverbänden immer wieder das Narrativ verbreitet, Tierärzte hätten grundsätzlich keine Ahnung von Naturheilkunde. Dieses Bild wird durch manche rein schulmedizinisch arbeitende Kollegen noch verstärkt, die naturheilkundliche Methoden ignorieren oder ins Lächerliche ziehen. So geraten naturheilkundlich arbeitende Tierärzte von beiden Seiten unter Druck.

In diesem Gefüge gibt es einen weiteren Aspekt, der selten offen angesprochen wird. Einige naturheilkundlich ausgebildete Tierärzte beginnen inzwischen selbst damit, Laien auszubilden. Die Argumentation lautet oft, diese Laien würden ohnehin behandeln, dann sollten sie es wenigstens halbwegs korrekt tun. Dieser Gedanke ist nachvollziehbar, aber er verstärkt langfristig das strukturelle Problem. Denn dadurch wird die Behandlung durch Laien indirekt legitimiert und gleichzeitig der Eindruck gefestigt, Naturheilkunde sei ein frei verfügbares Gebiet, das keine fundierte tiermedizinische Ausbildung erfordert. Auf diese Weise tragen auch qualifizierte Tierärzte unbeabsichtigt zu genau jener Konkurrenz heranwachsender Laien bei, die ihnen später wirtschaftlich das Wasser abgräbt.

Für Tierärzte, die Akupunktur, Homöopathie, Phytotherapie, Osteopathie oder andere Methoden ernsthaft anwenden wollen, gelten strenge Fortbildungsstandards. Sie absolvieren kostspielige, mehrjährige Weiterbildungen, die fachlich in keinem Verhältnis zu einigen Wochenenden einer Tierheilpraktikerschule stehen. Dennoch gelingt es den Tierheilpraktikerverbänden, ihr Gebiet als Hoheitsgebiet der Laien darzustellen, während tierärztliche Kompetenz zunehmend in den Hintergrund rückt.

Hinzu kommt die Haltung der Tierärztekammern. Naturheilkundlich arbeitende Tierärzte werden von bürokratischen Vorgaben oft zusätzlich belastet. Homöopathisch arbeitende Kollegen müssen teure Apothekenkontrollen über sich ergehen lassen, teilweise mit absurden Anforderungen. Auf den Hinweis, dass Laien frei und ohne jede Kontrolle behandeln, bekommt man lediglich zu hören, man könne diese ja anzeigen. Eine zuständige Aufsichtsinstanz existiert jedoch nicht. Daraus entsteht das paradoxe Gefühl, als approbierter Tierarzt sei man in seiner Arbeit stärker eingeschränkt als jeder Laie.

Im europäischen Vergleich wird diese Schieflage noch deutlicher. In vielen Ländern ist die Behandlung von Tieren durch Laien verboten. In Deutschland dagegen herrscht völlige Freiheit für Laien, während Tierärzte reguliert, kontrolliert und zugleich marginalisiert werden.

Auch die Gesellschaft für ganzheitliche Tiermedizin schafft es nicht, den naturheilkundlich arbeitenden Tierärzten eine starke Stimme zu geben. Statt echte Ganzheitlichkeit zu fördern, werden naturheilkundliche Verfahren zunehmend an schulmedizinische Denkmodelle angeglichen. Dadurch werden Methoden wie Akupunktur und Homöopathie symptomzentriert interpretiert, obwohl sie originär ganzheitlich ausgerichtet sind. Wenn Ganzheitlichkeit in das Korsett schulmedizinischer Kategorien gezwängt wird, verliert sie ihren Kern.

Diese Entwicklungen führen im Alltag zu grotesken Situationen. Eine Tierärztin akupunktiert ein Pferd, wird gefragt, ob sie Heilpraktikerin sei, und sobald sie sagt, sie sei Tierärztin, endet das Interesse. Diese verkehrte Wahrnehmung zeigt, wie tief das entstandene Narrativ sitzt. Laien gelten als Experten, während Tierärzte als fachfremd wahrgenommen werden.

Der Kern des Problems liegt in einem Zusammenspiel aus fehlender Regulierung, verzerrten Narrativen, eigener berufsinterner Ignoranz und dem unkritischen Ausbau einer Laienlandschaft, der inzwischen auch einige naturheilkundlich orientierte Tierärzte Vorschub leisten. Naturheilkundliche Tierärzte haben nicht deshalb keine Lobby, weil ihre Arbeit schlecht wäre, sondern weil diese komplexe Gemengelage ihre Position systematisch schwächt. Genau hier braucht es klare Worte und strukturelle Veränderung.

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