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Jenseits von Gut und Böse

Achtung, hier wird es nun nicht nur medizinisch, sondern auch ein wenig philosophisch und biblisch, aber auch das liegt in der Natur dieser allumfassenden Frage.

Nein, ich mache natürlich nicht dem grandiosen Friedrich Nietzsche Konkurrenz, aber das ist der beste Titel für meine kleine Auseinandersetzung mit diesem wichtigen Thema.

Da meine ganze Arbeit sich mit Gegensätzen oder viel besser mit Komplementaritäten befasst, komme ich auch um diese Urtrennung nicht herum und möchte diese Frage nicht meiden.

In der Medizin betrifft sie uns besonders, denn das gesamte medizinische Denken ist so aufgebaut, dass der Feind, das Böse bestimmt werden und eliminiert werden soll. Erreger, Tumoren etc. werden, heute zwar mit immer ausgeklügelteren Techniken, aber dennoch in dem Denken möglichst Gut

( Patient ) und Böse ( Erreger, Tumor ) voneinander zu trennen, versucht zu „behandeln“. Das klappt natürlich meistens nicht und es entstehen Nebenwirkungen, als Zeichen dieser unsauberen Trennung. Der Patient hat in diesem Stellungskrieg oft genug das Gefühl nur aus Versehen dabei zu sein. Die ganze Rhetorik strotzt schon vor Kriegsvokabular. In der Psychosomatik, wo man die Symptome nicht auf einen Ort festnageln kann, merkt man spätestens, dass dieses Denken in der Medizin ein Holzweg sein könnte. Immerhin gibt es fast 60% chronisch kranke Menschen, in der Tiermedizin sieht es nicht viel besser aus.

Vielleicht gehören die Symptome ja zum Patienten und erzählen seine/ihre Geschichte? Ich mache hier keine Werbung dafür die sogenannte moderne Medizin zu ignorieren, aber für mich ist sie immer mehr ausschließlich Notfallmedizin geworden, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, weil man eben nicht a priori auf den ganzen Patienten gesehen hat, um Zeit zu gewinnen und den Patienten dann in folge ganz ansehen zu können.

Übergeordnet betrachtet, bin ich mir ziemlich sicher, dass wir alle  Gut und Böse in uns tragen, so wie es unsere Welt auch in sich trägt und trotzdem enthält jede Herangehensweise an das Thema die Sichtweise: Das Heilen des Bösen bedeutet, es zu überwinden und eine Seite gewinnen zu lassen. Wenn wir uns die Gesetze der Natur, in der wir leben, rundherum ansehen, dann wissen wir, dass die Natur nicht wertet zwischen Gut und Böse.

Es gibt keine Wertung. Die Wertung haben wir hereingebracht und sicherlich, wir mögen alle lieber dem Guten unseren Blick zuwenden. Dem vermeintlich Guten muss man dazu sagen, denn Tatsache ist, dass das Leben und die Ganzheit, jede Ganzheit immer nach Ausgleich strebt und wenn wir uns nur dem Guten zuwenden, dann werden wir automatisch dem Bösen einen Raum bieten, den es einnimmt und es immer wieder stärken.

Wenn wir es ignorieren, wenn wir es bekämpfen und sogar noch, wenn wir es versuchen zu „heilen“, werden wir dem Bösen einen Raum bieten, der es stärkt. Die einzige Möglichkeit ist, da bin ich mir sicher, aus meiner Erfahrung, mit meiner Schattenarbeit, wie es so schön heißt, dass wir es wertfrei sehen. Wir müssen die Werte rausnehmen, das eine muss bekämpft werden und das andere muss gefördert werden.

Das kann niemals sein, weil beide Seiten gleichzeitig nebeneinander existieren, wie bei allen anderen Komplementaritäten auch.

Wir können das vermeintlich Böse nur heilen, wie so schön gesagt wird, wenn wir es integrieren können, wenn wir es anerkennen, dass es da ist und damit weise umgehen, das ist, so glaube ich, unsere Aufgabe, so dass möglichst wenig Schaden ( Schaden ist auch wieder eine Wertung ) angerichtet wird. Es ist unendlich schwierig, das zu verstehen, aber ich bin sicher, wir leben in einer Welt, in der wir genau das verstehen sollen.

Die schöne Geschichte mit Jesus und dem verwesenden Hund, bei dem er auf die schönen Zähne hinweist, wird oft angeführt in dem Wunsch darauf hinzuweisen, das Positive in allem sehen zu können. Aber sie ist, glaube ich, nicht nur das, sondern sie ist ein Hinweis darauf, dass beide Seiten immer nebeneinander existieren und da müssen wir zurücktreten und unsere rein menschliche Wertung herausnehmen. Wo alle nur das Hässliche, Verfallene gesehen haben, hat Jesus hier den Ausgleich geschaffen und damit darauf hingewiesen, dass das die eigentliche Aufgabe ist.

Viele gläubige Menschen sagen, das Richten müssen wir dem Göttlichen überlassen. Es ist eigentlich nicht unsere Aufgabe zu richten. Natürlich muss die Menschheit aber einen Weg finden mit diesem Widerspruch umzugehen. Meine Überlegungen sind auch nur meine übergeordnete Wahrnehmung, es ist nicht ein Lösungsrezept dafür, wie man es  umsetzen kann. Wir können natürlich nicht mordende Horden durch die Welt ziehen lassen und gar nicht richten.

So wie wir es allerdings derzeit umsetzten, richten wir und wir vergrößern und vergrößern und vergrößern die Seite des Bösen damit. Der Gedanke von Rache, ist einer der giftigsten und bösesten von allen, darüber müssen wir uns bewusst sein. Ich glaube, der erste Schritt ist die Anerkennung, dass es tatsächlich in jedem von uns steckt als Möglichkeit, das geht gar nicht anders. Wir können uns nicht hinter abstrakten Begriffen, wie „das ist der Staat oder das ist diese Gesellschaft, die böse ist“, verstecken.

Die Gesellschaft ist jeder einzelne von uns und jeder einzelne muss seinen Weg finden, wie Böses und Gutes am besten in einem solchen Gleichgewicht zusammen sein darf, dass kein Schaden angerichtet wird, kein größerer Schaden zumindest. Bewusstsein ist das Schlüsselwort, jeder kann sich darüber bewusst sein, dass beides nebeneinander in jedem von uns existiert und sich selbst nicht so stark richten, dass die eine Seite unterdrückt, niedergemacht und ignoriert wird, so dass sie sich in ihrer pervertiertesten Form erhebt, denn sie sind immer beide da, in dem einen mit der Tendenz zur einen Seite und die Natur des anderen zeigt ihm die Tendenz zur anderen Seite, das Absolute ist nicht erreichbar, wir können uns immer nur annähern. Sicherlich müssen wir einen Weg finden, wie wir das Böse integrieren, aber dorthin müssen wir erstmal denken, wir müssen es integrieren, dazu brauchen wir größtmögliche Liebe, auch für das Hässliche, das Untergehende, das Widersätzliche, das Böse, wie Christus es uns an dem verwesenden Hund gezeigt hat und nicht nur dort. Wer hat denn, um wieder biblisch zu werden, bei dem Mysterium der Kreuzigung die undankbarste Rolle inne gehabt und damit das größte Opfer gebracht? Judas! Seine Rolle war nötig, vorbestimmt und schon von Anfang an verziehen. Nur so haben wir die aller größte Chance, Frieden zu finden und Frieden ist das, was wir anstreben sollten, nicht Gleichschaltung auf der vermeintlich einen guten Seite, wobei, wie wir politisch beobachten können, sich derzeit jede Seite dieser Spaltung für die Gute hält.

Es wird niemals, weder in einem weltlichen Krieg noch in dem Krieg Gut gegen Böse, eine Seite gewinnen, sondern wir müssen lernen, mit beiden Seiten zu leben und damit den geringst möglichen „Schaden“ zu verursachen. Wir müssen versuchen wertfreier zu sein, nur die Fakten beobachten und nicht sagen, das ist schön und gut und das ist hässlich und böse, dann haben wir die allerbeste Chance.

Da ich mich unter anderem mit der Anthroposophie beschäftige, lese ich viel von Rudolf Steiner.

Er hat gesagt, wenn wir uns wirklich, wirklich anstrengen, das Böse anzusehen und am besten Verwesungsgeruch einatmen, waren die genauen  Worte, dann haben wir die beste Chance, auch beide Seiten des GANZEN zu erfassen und auch die andere Seite, hier als das Gute bezeichnet, größtmöglich zu stärken. Das heißt, nicht nur der böseste Mensch, sondern das vermeintlich böseste Wesen oder die vermeintlich bösesten Wesen müssen integriert werden, vorher ist es nicht geschafft und es wird immer eine andere Seite geben. Eine Spannung aufzumachen zwischen Gut und Böse, ist sicherlich die größte Sünde, der sogenannte Zwei-fall, die Ursünde, der Fall aus dem Paradies. Dieser ist nur heilbar, wenn wir zurücktreten können und so wertfrei wie möglich die Dinge beschreiben, wie sie sind, sie ansehen, sie ins Bewusstsein bringen, diese beiden Seiten akzeptieren und dann versuchen, das Beste aus beiden Seiten zu machen.

Ich weiß, es ist abstrakt, aber es ist erst einmal ein abstrakter Gedanke, der dann Umsetzung braucht. Wie das nicht nur jeder in sich, sondern wie es die ganze Menschheit verwirklichen soll, weiß ich nicht, aber mein ganz, sicheres Gefühl bei dieser Sache ist, wenn wir es nicht schaffen, zurückzutreten und eine wertfreie Einschätzung von Gut und Böse zu bekommen, dann werden wir unser Ziel der allumfassenden Liebe und somit Freiheit, insbesondere von diesen Wertungen zu erlangen, nicht schaffen und die Bedeutung von Sünde ist, soweit ich weiß, das Ziel zu verfehlen.

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